Die für den 05.10.2022 in Bad Nauheim geplante Versammlung zum Thema „Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung sowie Lebenshaltungskosten und Verarmung“ darf trotz des jüdischen Feiertages „Jom Kippur“ an diesem Tag stattfinden, muss jedoch einen Mindestabstand zur Synagoge und zum jüdischen Friedhof einhalten. Das hat die 9. Kammer des VG Gießen entschieden.
Die von der Antragstellerin angemeldete Versammlung soll jeweils am ersten Mittwoch jeden Monat stattfinden. Eine erste Versammlung fand bereits am 07.09.2022 statt. Zu der Versammlung werden nach Angabe der Antragstellerin etwa 50 bis 150 Teilnehmer erwartet. Als Hilfsmittel sind u.a. Lautsprecheranlagen, Trommeln und Trillerpfeifen vorgesehen.
Am 05.10.2022 ist der höchste jüdische Feiertag: Jom Kippur, der durch die jüdische Gemeinschaft mit mehreren Gottesdiensten begangen wird, u.a. wird in der Bad Nauheimer Synagoge ab 18 Uhr ein Gottesdienst abgehalten.
Die Stadt Bad Nauheim gab der Antragstellerin in ihrem Bescheid vom 22.09.2022 auf, die Versammlung zeitlich zu verlegen auf einen anderen Termin in dem Zeitraum vom 06. bis zum 31.10.2022. Dies begründete sie mit befürchteten Gefahren und Konfliktpotenzial auf Grund des jüdischen Feiertages. Die Versammlungsroute verlaufe durch die Innenstadt, in der sich auch die Bad Nauheimer Synagoge befinde, und dies führe zu einer erheblichen Störung der öffentlichen Ordnung. Die angemeldete Versammlung stelle eine Herabwürdigung und Despektierlichkeit des jüdischen Feiertages dar.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin. Der Feiertag „Jom Kippur“ ende bereits am 05.10.2022 um 19.43 Uhr, so dass es zu ihrer ab 18.30 Uhr angemeldeten Versammlung nur eine geringe zeitliche Überschneidung gebe. Zudem könne als milderes Mittel die Strecke der Versammlung geändert werden, oder es könne ein räumlich begrenztes Trommelverbot ausgesprochen werden. Die Änderung des Versammlungstages stelle der Sache nach ein Versammlungsverbot dar.
Auch das VG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass eine terminliche Verlegung einem Versammlungsverbot für das Datum des 05.10.2022 gleichkomme. Den befürchteten Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung könne mit dem milderen Mittel versammlungsrechtlicher Auflagen begegnet werden. Das VG gab der Antragstellerin in dem Beschluss entsprechend auf, mit ihrer Versammlung einen Mindestabstand von 300 m zur jüdischen Synagoge und zum jüdischen Friedhof einzuhalten und im Radius von 500 m um diese religiösen Stätten weder Lautsprecheranlagen noch Trommeln oder Trillerpfeifen zum Einsatz zu bringen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim HessVGH in Kassel einlegen. (VG Gießen, Beschl. v. 29.09.2022 – 9 L 1970/22.GI)
Pressemitteilung des VG Gießen v. 30.09.2022
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