BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Vereinsverbot erfolglos – Farben für Waisenkinder e.V.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen ein Vereinigungsverbot nicht zur Entscheidung angenommen. Das Verbot eines Vereins, der wissentlich Spenden an Dritte weiterleitet, die den Terrorismus unterstützen, ist … verfassungsgemäß…

Wie schon in den Verfahren, die der Senatsentscheidung vom 13.07.2018 zu Grunde lagen, sind auch die hier angegriffenen Entscheidungen der zuständigen Verbotsbehörden und der Fachgerichte mit den grundrechtlichen Anforderungen vereinbar. Der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG setzt die Verfassung selbst in Art. 9 Abs. 2 GG eine Schranke als Ausdruck einer pluralistischen, aber wehrhaften verfassungsstaatlichen Demokratie. Danach sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. Allerdings gilt für jeden Eingriff in die Vereinigungsfreiheit auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Lassen sich die in Art. 9 Abs. 2 GG benannten Rechtsgüter gleich wirksam durch mildere Maßnahmen schützen, gehen diese vor; sie kamen hier aber nicht in Betracht.

Sachverhalt

Das Bundesministerium des Innern hatte auf Grundlage des Vereinsgesetzes einen Verein verboten. Grund war im Fall „Farben für Waisenkinder e.V.“, dass dieser die Hisbollah, eine Organisation, die Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineintrage, durch die Weiterleitung von Spenden mittelbar unterstützte… Die Klage gegen das Verbot war erfolglos.

Wesentliche Erwägungen

Die Entscheidungen der Verbotsbehörde und des BVerwG sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der durch das Verbot bewirkte Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG ist gerechtfertigt.

I. a) Wer als Verein beziehungsweise Vereinigung nach Art. 9 Abs. 1 und 2 GG geschützt wird, ist in der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 VereinsG im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Wertungen umschrieben. Danach ist ein Verein jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG erstreckt sich ein Vereinigungsverbot auch auf alle Teilorganisationen, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, also auf solche Einheiten, die nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung des Vereins erscheinen.

b) Art. 9 Abs. 2 GG setzt der Vereinigungsfreiheit eine Schranke, wenn sich die Vereinigung gegen bestimmte Rechtsgüter von hervorgehobener Bedeutung richtet oder diesen zuwiderläuft, nämlich gegen die der Strafgesetze, die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Nur diese ausdrücklich aufgeführten Gründe rechtfertigen das Verbot als weitestgehenden Eingriff in die Vereinigungsfreiheit und sind in der Auslegung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit eng zu verstehen, ein Verbot also nur zu rechtfertigen, wenn es erforderlich ist, weil keine milderen Mittel zur Verfügung stehen…

Ein Vereinigungsverbot nach der dritten Variante des Art. 9 Abs. 2 GG ist gerechtfertigt, wenn sich die Vereinigung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, also in den internationalen Beziehungen Gewalt oder vergleichbar schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiert und fördert. Das kann die Vereinigung selbst unmittelbar tun oder aber durch die Förderung Dritter, wie durch die finanzielle Unterstützung terroristischer Handlungen und Organisationen, wenn diese objektiv geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, und die Vereinigung dies weiß und zumindest billigt. Hier gilt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass ein Verbot nur zu rechtfertigen ist, wenn die Ausrichtung entsprechend schwer wiegt und die Vereinigung prägt.

II. Die hier angegriffenen Verbotsverfügungen und die Urteile des BVerwG genügen diesen Anforderungen.

1. a) Das BVerwG folgert aus einer Gesamtschau von Indizien, dass es sich bei der von dem Verein „Farben für Waisenkinder e.V.“ geförderten Stiftung um einen untrennbaren Teil der Hisbollah handelt, die als völkerverständigungswidrige Organisation anzusehen ist, da sie mit der Hamas, die ihrerseits als völkerverständigungswidrige Organisation anzusehen ist, Gewalt in das Verhältnis zwischen den Völkern trägt. Das Gericht durfte davon ausgehen, dass diese finanzielle Förderung objektiv geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung auch schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Die Selbstdarstellung der Stiftung und Äußerungen von führenden Hisbollah-Mitgliedern sowie personelle Verflechtungen zwischen der Stiftung und der Hisbollah tragen die Annahme, dass die unstreitig in großem Umfang unterstützte Stiftung ein integraler Bestandteil der Hisbollah ist, deren sozialer, politischer und militärischer Teil untrennbar zusammenhängen. Das BVerwG stützt sich auch nicht nur auf generelle Vorteile, die ausgelöst werden können, wenn karitative Einrichtungen und Vereine mit sozialer Zwecksetzung in tatsächlich terroristisch kontrollierten Gebieten unterstützt werden, was nicht genügen würde, um einen Verein zu verbieten, der Spenden in solche Krisengebiete weiterleitet.

b) Das BVerwG verkennt im Ergebnis damit auch nicht, dass ein Vereinigungsverbot mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur dann vereinbar ist, wenn die Verbotsgründe die Vereinigung tatsächlich prägen oder ihr prägend zuzurechnen seien. Das Gericht nennt zahlreiche Hinweistatsachen, wonach dem Beschwerdeführer die Umstände bekannt waren, die wegen seiner finanziellen Zuwendungen an die Stiftung den Vorwurf der Unterstützung der Hisbollah begründen, und sich der Beschwerdeführer mit der Hisbollah und den aufgezeigten völkerverständigungswidrigen Aktivitäten auch identifiziert hat. Damit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt… (BVerfG, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 BvR 385/16)

Pressemitteilung des BVerfG Nr. 53 v. 02.08.2019

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