Wozu Staatskirchenrecht studieren? Antworten von Studierenden

Alexander HerwigChristian Heinz MüllerDavid OstertagJan Maximilian Junior Sereda-WeidnerVon Alexander Herwig, Christian Heinz Müller, David Ostertag und Jan Maximilian Junior Sereda-Weidner, Heidelberg

„Was Lehrende über ihr Fach schreiben würden, kann sich jeder denken. Was Lernende schreiben würden, das interessiert viel mehr.“ Der folgende Beitrag war die Idee unseres Dozenten Dr. Georg Neureither. Er wusste unsere Begeisterung für das Staatskirchenrecht gut zu katalysieren. Unsere Texte sollen Interesse wecken, Anstoß zum (Selber-)Denken geben und Manches kritisch hinterfragen. Wegen des Mottos „Von Studierenden für Studierende“ haben wir uns für Themen entschieden, die sich besonders an Kommilitoninnen und Kommilitonen richten:

  1. Aktualität des Staatskirchenrechts
  2. Studienrelevanz und (juristische) Allgemeinbildung
  3. (Staats-)Kirchenrecht: gut für den Beruf?
  4. Staatskirchenrecht in der Perspektive eines Theologiestudenten

1. Aktualität des Staatskirchenrechts

Ein für mich persönlich besonders schöner Aspekt der staatskirchenrechtlichen Vorlesung war die Einbeziehung des aktuellen Geschehens: So begannen die Sitzungen stets mit einem kurzen Briefing der rechtlichen und rechtspolitischen Ereignisse der vergangenen Woche unter staatskirchenrechtlichen Vorzeichen. Hierbei überraschte mich die Fülle der Sachverhalte: Von einem von juristischen Studienordnungen eher randständig behandelten Rechtsgebiet hätte ich einen derart großen Aktualitätsbezug nicht erwartet!

Nicht selten entwickelten sich daraus bereits spannende Diskussionen, die insbesondere durch die Interdisziplinarität der Teilnehmenden (u.a. Studierende der Rechtswissenschaften, der Theologie, der Islamwissenschaften, der Politologie) bereichert wurden. Die Themen waren in der Mehrzahl griffig und eigneten sich gut zum Meinungsaustausch. So diskutierten wir (um nur einige wenige Beispiele zu nennen)

  • darüber, ob die Kirchen als Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern besondere Obliegenheiten für deren Lebensführung vereinbaren dürfen,
  • ob über die „Verkündigungsnähe“ in kirchlichen Arbeitsverhältnissen das Selbstverständnis des Arbeitgebers entscheidet,
  • über den „Dritten Weg“ der Kirchen und das damit verbundene Streikverbot der Arbeitnehmer sowie das Zutrittsverbot der Gewerkschaften,
  • besprachen Bedingungen und Hindernisse insbesondere für islamische Religionsgemeinschaften, um den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen,
  • erörterten die Frage der Strafbarkeit religiös motivierter Beschneidungen.

Diese Diskussionen und ihre Lebendigkeit waren nicht nur mit großem Spaß verbunden, sondern führten nebenbei auch noch zur Herausbildung eines erheblichen Hintergrundwissens für die Verfolgung der parallelen Debatten in den Medien. Argumente konnten so besser eingeordnet, evaluiert und kritisch hinterfragt werden. Dies ist nicht zuletzt ein für mich wesentlicher Teil des Studiums, der zumindest in den gängigen Jura-Vorlesungen beträchtlich zu kurz kommt.

Stud. iur. David Ostertag

2. Studienrelevanz und (juristische) Allgemeinbildung

Die Religionsfreiheit ist eines der zentralen Freiheitsrechte, die der Staat zu achten verpflichtet ist; Georg Jellinek sprach gar vom „Urrecht“. Durch den Besuch einer staatskirchenrechtlichen Lehrveranstaltung lernt man v.a. die dogmatischen Linien (und Brüche) der Rechtsprechung des BVerfG kennen, denn: Staatskirchenrecht ist in hohem Maße Fallrecht, in dessen Fokus neben der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs.1 und 2 GG das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV steht. Die dazu ergangenen Entscheidungen erlauben außerdem einen streifenden Einblick in die (west-)deutsche Nachkriegsgeschichte.

Zum Politischen

Durch den Besuch der Vorlesung zum Staatskirchenrecht wurde mir bewusst, wie umfangreich die Rechte der Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz sind. Insbesondere im Arbeitsrecht (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11 [gegen diese Entscheidung wurde inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt]), aber auch in anderen Fragen, wie der Beschneidungsdebatte, ist die Achtung der Religionsfreiheit in all ihren Facetten ein prägender Faktor in Abwägungsfragen. Dies erstaunt einen jungen Juristen angesichts der medialen Nivellierung und des gesunkenen politischen Einflusses der Kirchen in Deutschland und Mitteleuropa. Die Beschäftigung mit dem Staatskirchenrecht, interessiert und kritisch, bietet Einblick in Grundwertungen und Grundstrukturen des Verhältnisses zwischen dem Bürger, dessen sozialer Verankerung und staatlicher Macht; das staatliche Recht will den Bürger nicht zwingen, zwei Herren dienen zu müssen – zugleich aber schafft es hierfür die Freiheit.

Fallrelevanz

Für die Fallbearbeitung bietet sich ein erheblicher Übungs- und Wiederholungseffekt: Die Trias aus Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung beherrscht der Staatskirchenrechtsstudent am Ende „im Schlaf“. Gerade im fortschreitenden Studium besteht die Gefahr, die in den ersten Semestern erlernten Grundkenntnisse schleifen zu lassen. (Der Besuch der Vorlesung in einem mittleren Semester erscheint daher als das perfekte „Timing“.) Durch die Fokussierung auf ein Freiheitsrecht (oder wenige Freiheitsrechte) habe ich es zu durchdringen gelernt, um dann situationsangemessen eine eigene Prüfung aufzubauen. Mit zunehmender Sicherheit vermag man sich von vorgegebenen Strukturen zu lösen, denn ein Gutachten ist kein Selbstzweck, sondern soll der Lösung dienlich sein.

Unbezahlbar

Und für einen Juristen unbezahlbar: Durch die Beschäftigung mit den vielen Fälle erschließt sich die ungeheure Vielfalt der religiösen Überzeugungen, und man verbessert seine Fähigkeit, Menschen und ihre Interessen und Bedürfnisse einschätzen zu können, um praktikable Lösungen für sie zu gewinnen. Gerade in Fragen, die das eigene Wesen im Innersten betreffen, neigen wir ja zu einer eher geringen Kompromissbereitschaft… Demgemäß hilft die Vorlesung, Problemsensibilität zu entwickeln, und schult damit die kulturelle Intelligenz und Bildung der Studierenden; schon nach wenigen Stunden vermag man die Rechtsproblematik, die letztlich eine zwischenmenschliche Problematik ist, schnell zu erfassen.

Fazit

Was war die größte, persönlich bereichernde Erkenntnis? Dass der freiheitlich-demokratische Staat selbst zurückhaltend sein muss, um nicht zu verletzen, was zu schützen seine eigentliche Legitimationsquelle ist.

Diese Erkenntnis dient dem grundsätzlichen Verständnis unseres Verfassungsrechts. Die vertiefte Auseinandersetzung mit ihm und dem Staatskirchenrecht (andere sagen: Religionsverfassungsrecht) hilft, ein geistiges Arsenal zu entwickeln, aus dem heraus grundsätzliche Argumentations- und Abwägungsstrukturen für alle Freiheitsrechte abgeleitet werden können. Die behandelten Fragen schulen sowohl das juristische wie das „normale“ Allgemeinwissen und sind für alle politisch und philosophisch Interessierten offen.

Stud. iur. Christian Heinz Müller

3. (Staats-)Kirchenrecht: gut für den Beruf?

Relevanz für den Beruf

Um die aufgeworfene Frage zu beantworten, soll zunächst die Relevanz des (Staats-)Kirchenrechts im späteren Berufsleben herausgearbeitet werden. Untersucht werden demgemäß die Jobangebote und die Tätigkeitsfelder.

Jobangebote

Die Namen „Kirchenrecht“ und „Staatskirchenrecht“ lassen es schon vermuten: Im Wesentlichen kirchliche Stellen bieten Berufe für „Kirchenrechtler“ und „Staatskirchenrechtler“ in ihren Verwaltungen an. Als Beispiel sei die römisch-katholische Kirche genannt: Sie hat bundesweit 27 Diözesen mit eigenem Verwaltungsapparat, die Stellen für schätzungsweise 100 bis 200 Juristen mit (staats-)kirchenrechtlichen Kenntnissen anbieten.

Tätigkeitsfelder

Kirchenrecht und Staatskirchenrecht bilden nur einen Teil der Aufgaben, die ein Jurist oder ein Theologe in Organisationen der Kirchen wahrnimmt. Im Vordergrund steht bei Theologen zumeist das Kirchenrecht in seiner konkreten Anwendung (z.B. kirchliches Eherecht oder innere Organisation der Kirche). Bei Juristen stehen Verwaltungstätigkeiten im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit; der tägliche Kontakt zum Staatskirchenrecht besteht hier etwa in der arbeitsrechtlichen Zuordnung zum „Dritten Weg“. Die Spezialisierung eines freiberuflichen Anwalts im Sinne eines „Fachanwalts für Staatskirchenrecht“ dürfte daran scheitern, dass die Kirchen eigene Fachkräfte haben, die das Staatskirchenrecht als Nebenqualifikation übernehmen.

Rechtstheoretischer und rechtsphilosophischer Ansatz

Um die oben aufgeworfene Frage wieder aufzugreifen: Das (Staats-)Kirchenrecht ist in seiner Relevanz für den Beruf, gemessen an den Kriterien „Jobangebote“ und „Tätigkeitsfelder“, von eher „mittlerer Art und Güte“. Gespräche mit Juristen und Theologen zeigen sogar, dass ein rein beruflicher Ansatz verfehlt wäre. Die Relevanz von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht wird von der Motivation, der Kirche zu „dienen“, bestimmt. Abstrahiert auf eine rechtstheoretische und rechtsphilosophische Ebene heißt das: Kirchenrecht und Staatskirchenrecht heißt Partizipation an einem beinahe 2000 Jahre alten Prozess zwischen Staat und Kirchen, Grenzen zu errichten, aber auch Freiheiten zu schaffen.

(Staats-)Kirchenrecht in der Praxis

Natürlich kann man darüber streiten, ob man die Zahlen und Fakten für ausschlaggebend hält oder eine Argumentation, die sich auf eine wertende Basis stellt. Ein Blick in die Praxis kommt, um das Ergebnis vorwegzunehmen, zu einer vermittelnden Position:

Vertreter der kirchlichen Organisationen stellen immer wieder fest, dass die Gerichte nur geringe bis gar keine (staats-)kirchenrechtlichen Kenntnisse zu Prozessbeginn besitzen. Es ginge in jedem Fall zu weit, die getroffenen Entscheidungen vollkommen in Frage zu stellen. Im Interesse des Staates, Rechtsfrieden zu gewährleisten, und im Interesse der streitenden Parteien sollte die Richterschaft jedoch zumindest für staatskirchenrechtliche Probleme hinreichend sensibilisiert sein, denn letztlich muss sich jede einschlägige Entscheidung an der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG messen lassen.

Stud. iur. Jan Maximilian Junior Sereda-Weidner

4. Staatskirchenrecht in der Perspektive eines Theologiestudenten

„Es muss immer wieder betont werden, dass die freie Wirksamkeit der Kirche nicht mit dem Maße ihrer Lösung aus staatlicher Bindung zunimmt, sondern von einem bestimmten Punkte an eher abnehmen kann“ (Ulrich Scheuner, Die Kirche im säkularen Staat, in: Joseph Listl [Hrsg.], Schriften zum Staatskirchenrecht, 1973, S. 215 ff. [233]) – eine Aussage, die in einer gegenwärtig sich immer stärker säkularisierenden Gesellschaft an Bedeutung gewinnt und bei vielen Menschen, seien sie juristisch erfahren oder nicht, religionskritisch oder nicht, unterschiedliche Vorstellungen und Fragen zum Verhältnis von Staat und Kirche hervorzurufen vermag. Das Staatskirchenrecht kann dazu Antworten oder zumindest helfende Orientierungen geben.

Als Theologiestudent war ich zunächst über die Fülle an Rechtsbereichen überrascht, in welche das Staatskirchenrecht einmünden kann: vom Verfassungsrecht „abwärts“ ins Arbeitsrecht, Beamtenrecht, Familienrecht, Ladenöffnungsrecht, Melderecht, Personenstandsrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Straßenrecht, Tierschutzrecht, Vereinsrecht, Verwaltungsrecht und und und. Wichtig für mich als Nichtjurist war es, einen Überblick über die Regelungen zu erhalten, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche (und Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften) betreffen, und die sich daran orientierende Rechtsprechung durch die Behandlung konkreter Fälle kennenzulernen.

Zu glauben, dass man das gesamte Gebiet des Staatskirchenrechts mit all den Rechtsbereichen, welche es tangiert, innerhalb eines Semesters versteht, ist für einen juristisch Unerfahrenen natürlich ein unerfüllbares Ziel (für einen juristisch Erfahrenen vielleicht ebenso?) – und sollte es auch nicht sein. Vielmehr sollte es Ziel sein, die wichtigsten Normen aus dem Staatskirchenrecht für Privatpersonen und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu kennen und die Interpretation dieser Normen anhand von Fallbeispielen, welche immer wieder die Probleme der praktischen Anwendung im Alltag aufzeigen, nachzuvollziehen.

Wem diese Herausforderung gelingt, wird auch als Nichtjurist großen Gewinn von einer staatskirchenrechtlichen Vorlesung haben und infolgedessen in der Lage sein, sich zu der eingangs genannten These Ulrich Scheuners eine eigene, belastbare Meinung zu bilden.

Stud. theol. Alexander Herwig

Anmerkung der Redaktion

Alexander Herwig ist Student im 3. Semester an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Studiengang „Magister theologiae“.

Christian Heinz Müller ist Student im 4. Semester an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Er absolviert im kommenden Semester einen Auslandsaufenthalt an der Universität Lausanne.

David Ostertag studiert Jura im 4. Semester an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und ist Stipendiat des Evangelischen Studienwerks Villigst. Seine Interessenschwerpunkte liegen im Straf-, Europa- und Kirchenrecht.

Jan Maximilian Junior Sereda-Weidner ist Student im 4. Semester an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er ist vorläufig in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen und wird ab Herbst ein Auslandsjahr an der Universität Florenz verbringen. Seine Interessenschwerpunkte sind neben dem Öffentlichen Recht vor allem Rechtstheorie und Rechtsphilosophie.

Vgl. auch Franke, Wozu Kirchenrecht studieren?

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