Der 5. Strafsenat des OLG Stuttgart verurteilte unter dem Vorsitz von Herbert Anderer einen 26 Jahre alten afghanischen Staatsangehörigen wegen Mordes, versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen sowie gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Die Fortdauer der Untersuchungshaft wurde angeordnet.
Feststellungen zum Tatgeschehen
Der Angeklagte, ein streng gläubiger sunnitischer Muslim, befasste sich ab dem Jahr 2021 intensiv mit dem Islam. Dabei frequentierte er verschiedene Telegram-Kanäle, auf denen auch radikal-islamische Gelehrte Beiträge eingestellt hatten. Unter deren Einfluss entwickelte er Sympathien für die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“, deren Ideologie er seit Anfang des Jahres 2023 teilte. Spätestens Anfang Mai 2024 gelangte der Angeklagte zu der Überzeugung, dass es nicht nur legitim, sondern seine religiöse Pflicht sei, vermeintlich Ungläubige in Deutschland zu töten. Er entschloss sich zu einem Angriff gegen den Zeugen St, den Hauptredner der „Bürgerbewegung Pax Europa“ (im Folgenden BPE), und weitere Mitglieder dieses Vereins anlässlich einer Kundgebung sowie gegen die Veranstaltung absichernde Polizeibeamte, die der Angeklagte als Repräsentanten des von ihm abgelehnten demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland ansah. Ziel des Angeklagten war es, innerhalb kürzester Zeit einen größtmöglichen Schaden in Form möglichst vieler Todesopfer anzurichten und sodann selbst auf Grund des Einschreitens der Polizei zu Tode zu kommen und nach seiner Vorstellung ins Paradies einzutreten.
Am 31.05.2024 begab sich der Angeklagte in Umsetzung dieses Planes zum Marktplatz in Mannheim, wo an diesem Tag die Kundgebung der BPE stattfinden sollte. Neben Mitgliedern und Sympathisanten des Vereins waren auch ungefähr 20 Beamtinnen und Beamte des Einsatzzuges des Polizeipräsidiums Mannheim vor Ort, die an diesem Tag die Aufgabe hatten, einen geordneten Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten.
Noch bevor die Kundgebung der BPE begonnen hatte, stürzte der Angeklagte gegen 11.35 Uhr von hinten auf den Geschädigten St zu, der in dieser Situation nicht mit einem Angriff auf seine Person rechnete. Der Angeklagte führte in Tötungsabsicht mit einem Jagdmesser mit einer 18 cm langen Klinge zwei Stiche in Richtung des St aus und traf den Geschädigten mindestens einmal am linken Oberschenkel. Dem Geschädigten St kamen die beiden weiteren Mitglieder der BPE, die Geschädigten H und Sch zu Hilfe, worauf der Angeklagte zunächst H einen Stich in den Oberschenkel versetzte und im Anschluss dem Geschädigten Sch das Messer in Tötungsabsicht auf Höhe der Mitte des Oberkörpers in die linke Flanke rammte, so dass die Klinge ungefähr 15 cm tief in den Körper des Geschädigten eindrang. Unmittelbar darauf versetzte der Angeklagte dem Geschädigten Sch einen weiteren Messerstich in das linke Schienbein und wandte sich sodann wieder dem Geschädigten St zu. Diesem versetzte er in Tötungsabsicht weitere, gegen den Kopf und Oberkörper gerichtete Messerstiche, bis die Geschädigten Z und L in das Geschehen eingriffen und den Angeklagten vorübergehend am Boden fixieren konnten. Diese Situation wurde vom Zeugen K fehlinterpretiert, der den Geschädigten L für einen Angreifer hielt und ihn kampfunfähig machen wollte. Zu diesem Zweck versetzte er L mehrere Faustschläge gegen den Kopf, auf Grund derer L vom Angeklagten ablassen musste. Als der Zeuge K gerade zu einem weiteren Faustschlag ansetzte, wurde er von dem heranrennenden Polizeihauptkommissar (PHK) La am Oberkörper gepackt und zu Fall gebracht, worauf PHK La und der Zeuge K ungefähr zwei bis drei Meter vom Angeklagten entfernt zu Boden kamen.
Der Angeklagte, der sich auf Grund des Eingreifens des Zeugen K aus dem Griff der Geschädigten Z und L befreien konnte, versetzte hierauf zunächst dem Geschädigten Z und sodann dem Geschädigten L in Tötungsabsicht Messerstiche, wobei ein Stich den Rücken des L traf und dessen Schulterblatt durchdrang.
Unmittelbar im Anschluss ging der Angeklagte zum Angriff auf PHK La über. Dieser hatte zuvor gesehen, dass sich der Angeklagte aus der Fixierung der Geschädigten Z und L gelöst hatte und seinen Angriff fortsetzte. Der Senat konnte daher nicht ausschließen, dass PHK La es für möglich hielt, dass der Angeklagte auch ihn körperlich angreifen könnte. PHK La, der das Messer des Angeklagten nicht wahrgenommen hatte, rechnete jedoch nicht damit, dass der Angeklagte hierbei ein Messer verwenden würde, weshalb er sich wieder auf den Zeugen K konzentrierte und sich auf diesen auf dem Rücken liegenden Zeugen kniete, um ihn so zu fixieren. Der Angeklagte näherte sich PHK La von hinten und versetzte ihm in Tötungsabsicht einen Messerstich in den Oberkörper sowie einen weiteren, gegen den Kopf gerichteten Stich, der oberhalb des Ohrs mindestens fünf Zentimeter tief in den Kopf eindrang und eine große Hirnarterie verletzte.
Hierauf konnte ein weiterer Polizeibeamter das Angriffsgeschehen beenden, indem er einen Schuss auf den Angeklagten abgab, der diesen sofort handlungsunfähig machte.
PHK La verstarb auf Grund der Kopfverletzung am 02.06.2024.
Entscheidung
Der Senat hat die Taten als Mord aus niedrigen Beweggründen zum Nachteil von PHK La, als versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten St, Sch, Z und L sowie als gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten H gewertet und auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt.
Der Senat hat außerdem festgestellt, dass die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt. Er hat hierbei berücksichtigt, dass der Angeklagte die Taten im Wesentlichen eingeräumt hat und bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Auf der anderen Seite brachte der Senat insbesondere in Ansatz, dass der Angeklagte fünf gegen das Leben gerichtete Straftaten begangen hat und hierbei jeweils in Tötungsabsicht handelte. Zudem war die Schwere der insgesamt vom Angeklagten herbeigeführten Verletzungsfolgen in den Blick zu nehmen.
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB hat der Senat nicht angeordnet. Im Einklang mit dem psychiatrischen Sachverständigen ging der Senat davon aus, dass sich eine in der Persönlichkeit des Angeklagten verwurzelte Neigung zur Begehung von Straftaten allein auf Grund des vorliegenden Tatgeschehens nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt, zumal sich in der Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte dafür ergaben, dass den Angeklagten eine persönlichkeitsimmanente besondere Gewaltbereitschaft oder Aggressivität auszeichnet.
Der Senat hat zudem davon abgesehen, die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB vorzubehalten. Hierfür war insbesondere maßgeblich, dass der Angeklagte ohnehin im Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe verbleiben wird, solange er für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dass nach der Aussetzung des Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte, ist nach dieser Gesetzessystematik kaum denkbar.
Weitere Informationen
Der Senat verhandelte seit dem 13.02.2025 an 36 Tagen und hörte im Rahmen der Beweisaufnahme mehr als 70 Zeugen und Sachverständige.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Rechtsmittel der Revision zum BGH muss binnen einer Woche nach Verkündung des heutigen Urteils eingelegt werden. (OLG Stuttgart, Urt. v. 16.09.2025 – 5 St 2 BJs 231/24)
Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 16.09.2025





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