Einige meiner Mandanten nehmen die Haft als lästige Zeit hin, die es abzusitzen gilt, und dann geht das Leben weiter. Für die Wirtschaftsstraftäter hingegen haben das Leben vor und das nach dem Urteil wenig miteinander zu tun. In ihren Kreisen ist Haft inakzeptabel. Dort gehört man zur gesellschaftlichen Elite, der Häftling hingegen wurde von der Gemeinschaft verurteilt und bestraft. Auf dieser Seite möchte man nicht stehen, also rückt man von dem Ausgestoßenen ab.
Es heißt oft, die Kleinen werden gehängt und die Großen laufengelassen. Das ist aber nur eine Facette der Wahrheit. Die Großen sind oft geschickter, die sind deswegen groß, weil sie schlau sind oder manipulativ oder beides. Sie verschleiern ihre Straftaten, verwischen Spuren oder hinterlassen erst gar keine. Die Kleinen, die eBay-Betrüger oder Ladendiebe, sie machen es den Ermittlern leicht. Aber wenn es der Justiz gelingt, einen der Großen zu überführen, dann gibt es wenig Gnade. Die Strafen fallen für Manager und Vorstandsmitglieder oft hart aus, Bewährung gibt es selten, trotz fehlender Vorstrafen und erfolgter Wiedergutmachung. Ihnen macht der Richter vor allem einen Vorwurf: Du hättest es nicht nötig gehabt. Mit den meisten Kriminellen haben Richter Mitgefühl. Viele hatten es nicht leicht im Leben, eine lieblose Kindheit, Armut, Drogenabhängigkeit. Der Richter, der abends zurück in seine großzügige Altbauwohnung zu Frau und Kindern fährt, weiß, wie ungleich die Chancen in dieser Welt sind. Sein Leben hat mit dem der Männer und Frauen auf der Anklagebank nichts gemein, sie berühren sich nur in diesem einen Moment, in dem er ein Urteil über sie fällt. Bei einem Wirtschaftsstraftäter ist das anders. Er ist einer von uns, ihm standen alle Möglichkeiten offen, für ihn gibt es keine Entschuldigung.
(Elisa Hoven, Dunkle Momente, 2025, S. 298 f.)





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