OLG Stuttgart: Angeklagter wegen Mitgliedschaft in den ausländischen terroristischen Vereinigungen „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ und „IS“ und wegen Beteiligung an der Erpressung eines Journalisten in Syrien verurteilt

Der 2. Strafsenat des OLG Stuttgart hat unter dem Vorsitz von Dr. Roderich Martis einen 36 Jahre alten syrischen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung und zu erpresserischem Menschenraub, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Feststellungen des Senats

Der Senat hat festgestellt, dass der Angeklagte sich in Syrien in den Jahren 2012 bis Ende 2016 mitgliedschaftlich zunächst an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ und später an der Vereinigung „Islamischer Staat“ („IS“) beteiligt hat.

Bei der „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ handelt es sich um eine im Frühjahr 2012 in Muhassan in der Provinz „Deir ez-Zor“ in Syrien von ehemaligen Angehörigen der syrischen Armee als Teil des gegen das Regime gerichteten Aufstands gegründete Gruppierung, die die Besei­tigung der syrischen Regierung anstrebte. Die Vereinigung verfügte über eine Anzahl von Kämpfern im zweistelligen Bereich und u.a. über Sturmgewehre, Mörser und Panzerabwehrwaffen. Die Vereinigung nahm durch ihre Kämpfer an verschiedenen Kampf­handlungen und Sprengstoffanschlägen im syrischen Bürgerkrieg teil, bei denen jeweils der Tod der Gegner in Kauf genommen wurde.

Der Angeklagte war von Juli 2012 bis zur Machtübernahme des „IS“ in Muhassan/Deir ez-Zor im Juni 2014 in der „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ als Kämpfer und Scharfschütze aktiv und beteiligte sich in den Jahren 2012 und 2013 u.a. an mindestens vier Gefechten um den Militärflughafen von Deir Ez-Zor.

Danach schloss sich der Angeklagte offen dem „IS“ an und arbeitete zunächst mit dem „IS“-Verantwortlichen für Muhassan zusammen, wobei er dessen Befehle ausführte und diesem mit Informationen über Muhassan beratend zur Seite stand. Zudem wurde ihm nun die – auch für ihn finanziell lukrative – Aufgabe übertragen, für den „IS“ Gas zu verkaufen. Der Angeklagte verkaufte das Gas in Dollar und verschaffte der Organisation auf diese Weise Devisen, mit denen sich der „IS“ finanzierte.

Anfang August 2014 wurde ein Journalist in Muhassan vom „IS“ in einem lokalen Gefängnis eingesperrt. Nach mehreren Stunden wurde er vom Angeklagten dort aufgesucht. Der Ange­klagte erklärte nun dem Gefangenen, er müsse zur Freilassung seinen Laptop an den „IS“ übergeben. Der Angeklagte wusste, dass der Journalist gegen seinen Willen festgehalten wurde, Angst um sein Leben hatte und nur deshalb bereit war, Wertsachen im Gegenzug für sein Leben herauszugeben. Am nächsten Morgen wurde der Gefangene vom „IS“-Verantwortlichen zu seinem Haus gefahren, wobei er durch den Angeklagten mit einem Ma­schinengewehr bewacht wurde. Die Familie des Gefangenen hatte allerdings einen anderen, weniger werthaltigen Laptop für die Übergabe bereitgestellt, um den „IS“-Verantwortlichen zu täuschen. Dies bemerkte der Angeklagte sofort, machte den „IS“-Verantwortlichen darauf aufmerksam und wies ihn darauf hin, dass der Gefangene noch weitere IT-Geräte hatte, u.a. ein Empfangs- und Sendegerät, das einen stabilen Internetzugang ermöglichte, und eine Kamera, die der „IS“-Verantwortliche nun ebenfalls herausverlangte. Der Journalist gab diese Gegenstände aus Angst, andernfalls umgebracht zu werden, zusammen mit seinem Arbeitslaptop an den „IS“-Verantwortlichen heraus.

2015 zog der Angeklagte in die Provinz „Aleppo“. Dort stand er bis mindestens Ende 2016 dem „IS“ als potenzieller Kämpfer zur Verfügung. Im Gegenzug erhielt er Lebensmittelrationen vom „IS“. Als der „IS“ in der Provinz Aleppo im Laufe des Jahres 2016 Niederlagen erlitt, floh der Angeklagte mit einem gefälschten Ausweis spätestens im August 2017 in die Türkei und reiste im Oktober 2022 in die Bundesrepublik ein.

Weitere Informationen

Der 2. Strafsenat verhandelte seit dem 31.10.2024 an 20 Verhandlungstagen, vernahm dabei 19 Zeugen und fünf Sachverständige und führte zahlreiche Videos von Kämpfen in Syrien in die Verhandlung ein. Der Angeklagte war nicht geständig, er gab aber während der Verhandlung Erklärungen zu den Tatvorwürfen ab.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt stehen gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum BGH offen, die binnen einer Woche nach Verkündung des heutigen Urteils eingelegt werden muss.

Der Angeklagte wurde am 02.04.2024 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Senat hat den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechterhalten und den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. (OLG Stuttgart, Urt. v. 18.02.2025 – 2 St 36 OJs 14/23)

Pressemitteilung des OLG Stuttgart v. 18.02.2025

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