Aufgelesen 118 – Die mörderische Kompetenz der Professoren

Nicht genug zu tadeln ist das neunzehnte Jahrhundert dafür, daß es dieses Gezücht von Glossatoren begünstigt hat, diese Lesemaschinen, diese Mißbildung des Geistes, die der Professor inkarniert, – Symbol des Niedergangs einer Kultur, der Abstumpfung des Geschmacks, der Suprematie des Fleißes über den Einfall.

Alles von außen sehen, das Unsagbare systematisieren, nichts von Angesicht zu Angesicht betrachten, das Inventar der Standpunkte der anderen aufnehmen! … Jeder Kommentar eines Werkes ist schlecht oder unnütz, denn alles, was nicht unmittelbar ist, ist null und nichtig. Früher verbissen sich die Professoren mit Vorliebe in die Theologie. Wenigstens hatten sie da noch die Entschuldigung, das Absolute zu lehren, sich auf Gott zu beschränken, während in unserer Epoche nichts ihrer mörderischen Kompetenz entgeht. 

(E. M. Cioran, Syllogismen der Bitterkeit, 1995, S. 14)

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